Die rätselhaftesten Kriminalfälle Deutschlands
Geheimakte 1972
von
Christoph Lemmer
Juni 2022
Episode 1
ANOUK
Voice (Markus Kästle)
Ankie (Cordula Senfft)
Aktenstimme (Sebastian Riechel)
Terrorist Al Dnawi (Lenny Peteanu)
Home-Office. Klappern eines Computer-Keyboards.
Christoph
Liebe Frau Spitzer, hier schreibt Ihnen Christoph Lemmer, Journalist von Antenne Bayern. Ich arbeite an einer Podcast-Serie über den palästinensischen Terroranschlag auf die israelische Olympiamannschaft 1972. Ich würde dafür gern nach Israel fliegen und Sie interviewen. Ein paar Worte zu mir: Ich habe über den NSU-Prozess für die Nachrichtenagentur dpa berichtet und für Antenne Bayern mehrere große Podcasts produziert, darunter einen über den Anschlag auf das Olympia-Einkaufszentrum und einen preisgekrönten über den Fall Peggy und ein falsches Mordurteil. Ich würde mich sehr freuen, Sie kennenzulernen.
Letztes Tastenklappern.
Mail-Verschwindegeräusch vom Mac
Atmo draußen, Frau sitzt am Tisch auf ihrer Terrasse. Tastenklappern, auch sie schreibt eine E-Mail.
Ankie
Lieber Herr Lemmer, ich habe Ihre E-Mail gelesen und werde natürlich mit Ihnen sprechen. Allerdings habe ich gerade nach diesem schrecklichen Terroranschlag hier in Israel viel zu tun. Vielleicht können wir nächsten Sonntag reden, wenn sich die Situation ein bisschen beruhigt hat. Vielen Dank und beste Grüße, Ankie Spitzer
Letztes Tastenklappern
Mail-Verschwindegeräusch vom Mac
Christoph
Naja, das ging dann alles glatt. Ich habe mir ein Ticket nach Tel Aviv gekauft und bin für eine Woche nach Israel geflogen. Ich habe Ankie Spitzer interviewt
und die Familie von Mark Slavin. Ich habe unglaubliche Dinge erlebt. Ich habe verstanden, wie präsent die Ermordung der israelischen Sportler bei der Olympiade in München 1972 in Israel bis heute ist.
keine Fotos, auch keine Scans. Was ich drufte: Notitzen machen. Und es wurden viele. Denn ich habe die Akten teils komplett abgeschrieben. Am Ende über 600 Seiten.
Über 600 Seiten, die den palästinensischen Terrorüberfall auf die israelische Olympiamannschaft teils in einem ganz neuen Licht erscheinen lassen.
Mit Details, die bis heute nicht einmal die Hinterbliebenen der Mordopfer kannten... nach 50 Jahren.
Wie die Terroristen nach München reisten. Wie sie zusammen mit deutschen Neonazis die Waffen organisierten. Wer diese Terroraktion in Auftrag gegeben und bezahlt hat. Wie unfassbar stümperhaft die Polizei agierte. Wie gleichgültig die Justiz bis heute mit diesem Mord umgeht – nämlich gar nicht. Keine Anklage, kein Prozess - obwohl das wohl möglich wäre. Ich staune, welche Schatten diese Tat nach einem halben Jahrhundert auf die heutige Gegenwart wirft.
Intro
1972-THema in Moll, als Bett unter Intro
Voice
Geheimakte 1972 – das Olympia-Attentat in München.
Terrorist Telefonstimme
Hallo Tunis! Wir haben die israelische Mannschaft in unserer Gewalt.
Mika
GA OA Mika No Politicians Sports CUT.mp30’6
Voice
Die ganze Geschichte – investigativ recherchiert.
Ankie
GA OA Ankie Journalist Lemmer P1 CUT.mp30’5
Bisher unveröffentlichtes Material.
Ankie
GA OA Ankie Journalist Lemmer P2 CUT.mp3
Voice
Wie die Terroristen planten, wer sie beauftragte und bezahlte. Und was deutsche Neonazois mit der Sache zu tun haben.
SFX Akzent Trenner
Voice
Das Minutenprotokoll des Überfalls im Olympischen Dorf und der Schießerei in Fürstenfeldbruck - ein Minutenprotokoll behördlichen Scheiterns.
Anneliese Graes
Als ich den Mann zum ersten Mal sah, trug er in der Hand eine Handgranate.
Voice
Warum sich nie ein Täter vor Gericht verantworten musste...
ANKIE
GA OA AnkieThe World Should Not Forget.mp30’03
Fade auf 1972-Thema Dur
Voice
in die Tat umsetzten. Im Olympischen Dorf in München und auf dem Flugfeld in Fürstenfeldbruck.
Anouk.
Story
Christoph
Ankie, André und Anouk. Die Vornamen der Spitzers beginnen alle mit A. André wurde am 4. Juli 1945 in Temesvar geboren. Kurz nach dem Ende des 2. Weltkriegs. Temesvar liegt im äußersten Nordwesten Rumäniens. Siebenbürgen. Seine Eltern haben den Holocaust überlebt. Der Vater stirbt, als André elf Jahre alt ist. Als Jugendlicher lernt André fechten. Mit 19 zieht er zusammen mit seiner Mutter nach Israel. Seine Schwester bleibt in Temesvar. In Israel wird André Cheftrainer des israelischen Fechtverbandes. 1968, da ist er 23, geht er in die Niederlande. Da lernt er Ankie kennen. Ankie erinnert sich.
Ankie
01_Ankie_How I Met Andre.mp31’31
Ich habe André in Holland getroffen. Ich bin aus Holland und er ist aus Israel. Der israelische Fechtverband hatte ihn nach Holland geschickt, damit er sich da weiterbilden lässt und als Fechttrainer besser wird. Er ging da also zur Schule und sprach schon holländisch, als ich ihn kennenlernte. Ich war selber Fechterin und er trainierte mich. Ich hatte keine Ahnung, dass er aus Israel war. Ich selber war mehrmals in Israel. Ich habe in einem Kibbuz gearbeitet, wie das viele damals gemacht haben.
CHRISTOPH
Ein Kibbutz ist eine Art Landkommune. Die waren früher in Israel sehr populär und es gab viele Jugendliche aus Europa, die dort als Freiwillige mitgearbeitet haben. So wie Ankie.
Ankie
Weißt Du was? Ich komme mit.
1972-Thema Moll, kurz freistehen lassen als Break und dann weiter als Bett
Al Dnawi
Seit Februar 1971 bin ich Mitglied der Organisation Schwarzer September. Diese Organisation hat das Ziel, mit Gewalt Palästinenser zu befreien. Es war der Auftrag dieser Organisation, die israelischen Sportler zu entführen und zwar ohne Blutvergießen, um sie dann gegen palästinensische Gefangene in Israel auszutauschen.
1972-Thema DUR, kurz freistehen lassen
Christoph
1971. Da war Ankie 24 Jahre alt. Und sie zog es einfach durch. Sie ging mit André nach Israel.
Ankie
02_Ankie_Apr1971 Remote Village Marriage Pregnant.mp301’20
Du hast keine Ahnung, wo Du hingehst. Da ist nichts in Biranit, so hieß der Ort. Nicht mal ein Stromnetz, die haben nur Generatoren. Kein Café, wo man hingehen kann. Kein Geschäft. Ich sagte, na und? André wird da sein, ich dann eben auch. Ich brauch nichts weiter. Wir lebten dann ein Jahr in dieser Fechtakademie an der Grenze. Und ich muss sagen, das war das glücklichste Jahr meines Lebens. Wir hatten eine tolle Zeit. Ich war 25, er 26. Wir waren total verliebt. Und dann entschieden wir, zu heiraten. Dafür mussten wir nach Holland, weil ich nicht jüdisch war und man in Israel nicht heiraten konnte, wenn man nicht jüdisch war. Also flogen wir nach Holland, heirateten und ich wurde schwanger.
Christoph
Schwanger mit einem kleinen Mädchen, mit Anouk. Und in Holland, da lernten Ankies Eltern André kennen.
Ankie
03_Ankie_When Back News Nominated Olympics.mp30’28
Ich habe ihn meiner Familie vorgestellt. Und sie … [freistellen „they had no clue“ und Lacher] … sie hatten keine Ahnung, was hier passiert. Sie trafen ihn, aber er war so nett und freundlich, dass sie sich auch sofort in ihn verliebten. Okay. Dann fuhren wir zurück, und da erreichte uns sie großartige Nachricht, dass er zur Olympiade fahren sollte.
1972-Thema Moll, kurz freistehen lassen als Break und dann weiter als Bett
Aktensprecher
Mit Schreiben vom 21. August 1972 eine aus dem Ausland stammende unbestätigte Mitteilung, daß von palästinensischer Seite während der Olympischen Spiele in München. ein Zwischenfall inszeniert werde. Einzelheitren über Art und Umfang der Aktion konnte der Informant nicht in Erfahrung bringen. Dieser gab die Mitteilung ausdrücklich mit Vorbehalt und dem Hinweis weiter, daß er die fragliche Äußerung von journalistischer Seite erfahren habe. Jedoch entspräche es der Politik der „Volksfront für die Befreiung Palästinas“ (PFLP), durch spektakuläre Aktionen die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf die palästinensische Frage zur lenken. Die Olympischen Spiele böten einen für diesen Zweck hervorragend geeigneten Rahmen. Dringend empfohlen werde daher, alle im Rahmen des Möglichen liegenden Sicherheitsmaßnahmen zu ergreifen.
1972-Thema DUR, kurz freistehen lassen
Ankie
04_Ankie_With Baby Holland Parents.mp301’18
Das ist eine Chance, Leute zu treffen, die ich sonst nie treffen würde. Es gibt Grenzen, es gibt Feinde, aber dank des Sports können wir uns alle treffen und mit allen reden. Also das war wirklich sein Traum. Und ich sagte: Ich wäre wahnsinnig gern mit Dir dabei. Aber wir hatten natürlich das kleine Baby. Ich habe also mit meinen Eltern in Holland gesprochen und gesagt, wenn die Sportler aus Israel abreisen, dann würde ich mit dem Baby nach Holland kommen. Könntet Ihr dann auf sie aufpassen? Ich könnte dann zu André zur Olympiade fahren. Und sie: Natürlich.
Christoph
Genau so kam es dann auch. André reiste mit der israelischen Delegation zu den Olympischen Spielen nach München. Ankie flog mit Anouk in die Niederlande.
1972-Thema Moll und stehenlassen als Bett
Al Dnawi
Mein Einreiseweg war von Syrien über Jugoslawien. Ich fuhr mit dem Zug. Ich kam alleine. Ich hatte zwischen dem 22. und 24. August 1972 in Syrien von zwei Führern der Gruppe Schwarzer September den Auftrag erhalten, an der Entführung der israelischen Sportler im Münchner Olympia-Dorf teilzunehmen. Diese beiden Führer namens Tony und Essa gaben mir in Syrien eine Beschreibung (Skizze) vom Olympiagelände und zeichneten dazu die U-Bahn-Haltestelle ein, wo ich sie am 3. September 1972 um 18.00 Uhr treffen sollte.
1972-Thema Dur
Ankie
05_Ankie_Room in Munic and Oly,pic Spirit02’08
Ankie, das ist nicht normal, wie sie schreit. Ich nehme sie mit zu mir in die Klinik und wir schauen, was mit ihr ist. Ich sagte, okay, aber André wartet und ich kann ihm nichts sagen. Er würde seine Fechter-Kollegen alleinlassen und sofort nach Holland kommen. Er meinte: Nein nein nein, Du fährst und wir kümmern uns um sie. Also fuhr ich zum Olympischen Dorf nach München. Ich traf André. Wir hatten eine tolle Zeit. Ich dürfte natürlich nicht im Olympischen Dorf schlafen. Damals in München gab es ein Männerdorf und ein Frauendorf. Und um 23 Uhr mussten alle Frauen das Männerdorf verlassen haben, nicht so wie heute. Und wir als junges verliebtes Paar haben uns gefragt: Wie machen wir es? Und wir haben uns ein kleines Zimmer in München gemietet, wo wir ungestört zusammensein konnten. Natürlich waren wir auch jeden Tag im Olympischen Dorf. Er hatte eine Akkreditierung und kam rein, ich hatte die nicht. Also habe ich gesagt: Wir gehen durch den Ausgang rein. Die Deutschen sind so drauf, daß sie nur durch den Eingang reingehen und nicht durch den Ausgang. Das haben wir dann jeden Tag gemacht und die Leute sagten: Guten Tag, Guten Morgen, Guten Abend, auch die Terroristen hätten das so tun können. Es war sehr einfach. Keine Security, nirgendwo. Alles war auf „heitere Spiele“ ausgerichtet. Keine Polizisten mit Hunden oder so, sogar die Sicherheitsleute trugen schicke blaue Anzüge. Die Atmosphäre im Olympischen Dorf war exzellent. Wirklich so, wie ein Olympisches Dorf sein sollte. Sehr entspannt. Jeder quatschte mit jedem, jeder ging überall hin. Es gab Tanzen, Filme, Sport, Spiele für die Athleten, das war wundervoll. Eine tolle Erfahrung.
1972-Thema Moll und als Bett stehenlassen
Al Dnawi
Issa sagte dazu, daß eine Aktion in Deutschland stattfinden sollte – richtig ist, daß Issa sagte, meine Arbeit wäre in Deutschland. Was für eine Arbeit dies sein sollte, darüber wurde nicht gesprochen. Ich habe auch nicht weiter nachgedacht, denn für mich war ein Befehl ein Befehl. Außerdem hatten Issa und Tony erklärt, wir würden in Deutschland zusammentreffen. Ich bekam auch ein Ticket ausgehändigt, und zwar eine Flugkarte für die Gesellschaft Interflug und die Reise am 29.8.72 von Damaskus nach Belgrad. Dazu erklärte mir Issa, ich sollte im Flughafen Belgrad ein Taxi nehmen und mich zum Bahnhof bringen lassen. Dort könnte ich die Eisenbahn besteigen und direkt nach München durchfahren.
1972-Thema Dur
Christoph
4. September 1972. Ein Tag vor dem Terrorüberfall auf die israelische Olympiamannschaft.
Ankie
07_Ankie_Mit Andre Holland 2 Tage Zug weg.mp3
Pass auf, ich mache hier keine Ausflüge, sondern fahre nach Hause, weil unser Baby im Krankenhaus ist, schon seit ein paar Wochen, und ich hab Dir nichts gesagt, damit Du Dir keine Sorgen machst und Dich auf die Olympiade konzentrieren kannst. Aber jetzt, wo Du frei bekommst, gehe ich zurück nach Holland. Er ist dann sofort mitgekommen und wir fuhren gemeinsam. Wir gingen gleich ins Krankenhaus und haben meinen Bruder gesprochen. Er und noch ein Arzt sagte, wir haben alle Tests gemacht und nichts gefunden. Wir haben keine Ahnung, was sie hat. Nach meiner Meinung ist alles gut. Vielleicht ist es nur die Aufregung und der Streß vor der Olympiade, warum sie so geschrien hat. Dann sagte ich zu André: Du musst zurück. Du hast nur zwei Tage frei und ich will nicht, daß Du Ärger kriegst. Er meinte: Okay, ich nehme den Zug morgen früh. Das war eine Zugreise von so etwa elf Stunden. Ich brachte ihn dann zum Bahnhof. Unterwegs kamen wir am Krankenhaus vorbei und er wollte, daß ich anhalte. Er wollte Anouk noch mal sehen und sie küssen. Ich sagte, André, wir haben keine Zeit. Du wirst Deinen Zug verpassen. Er hat sich durchgesetzt. Ich wartete mit laufendem Motor im Auto. Er rannte rein, sah den Arzt, küsste das Baby, kam zurück und wir fuhren zum Bahnhof. Aber als wir ankamen, war der Zug schon weg.
1972-Thema Moll, als Bett stehenlassen
Christoph
Was also jetzt tun? André musste zurück nach München. Der Zug war abgefahren. Er stand mit Ankie im Bahnhof von Den Haag. Was dann passierte, war wirklich schicksalhaft. Er kam dann doch noch nach München - ganz kurz, bevor die Terroristen ihn und seine Mannschaftskameraden als Geiseln nahmen. Dazu mehr in einer der nächsten Episoden.
Kurzer BreakAtmo Orient
Christoph
Im Nahen Osten, bei Führern der Fatah, der palästinensischen Befreiungsorganisation und in mehreren arabischen Ländern endeten genau zu dieser Zeit die Pläne für einen Terroranschlag, der die ganze Welt erschüttern sollte.
Wie er geplant wurde und wie aus dem Plan ein mörderischer Überfall wurde – darüber sprechen wir in der nächsten Episode – „Issa und Tony”. Die beiden Anführer.
Wie sie in Beirut, Shatila und Damaskus ihre Kämpfer anwarben.
Wie sie in München den Überfall auf die israelische Olympiamannschaft planten – und am Ende auch selber anführten - in der nächsten Episode.
OUTRO
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Stinger
Voice
Geheimakte 1972 – das Olympia-Attentat in München. Ein ANTENNE BAYERN Podcast.
Closer